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Alfred Felder im Gespräch mit Andrea Erny
Uraufführung der Oper Walpurgisnacht – Alfred Felder im Gespräch mit Andrea Erny
„Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt; / Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?“
Die Walpurgisnacht-Szene aus Goethes Faust inspirierte nicht nur Felix Mendelssohn Bartholdy, sondern auch den Winterthurer Komponisten Alfred Felder zu einer neuen Komposition. Es ist uns eine Freude und Ehre, dieses Auftragswerk des Musikkollegium Winterthur gemeinsam mit dem Orchester zur Uraufführung zu bringen. Altistin und Vorstandsmitglied Andrea Erny hat den Komponisten im Vorfeld zum Gespräch getroffen.
Andrea Erny
Ich würde gerne wissen, was die Walpurgisnacht für ein Stück ist und wie es überhaupt zu dieser Komposition kam. Warum hast du dich entschieden, ein so grosses, umfangreiches Werk zu schreiben? Wo entstand die erste Idee?
Alfred Felder
Es war beim Konzertchor Harmonie in Zürich. Dieser Chor hat bereits viele meiner Stücke aufgeführt, mir Kompositionsaufträge gegeben und 2015 sein 175-jähriges Jubiläum gefeiert. Dazu sollte ein Festkonzert mit dem Tonhalle-Orchester stattfinden, und sie wollten unbedingt eine Uraufführung singen. Sie fragten mich, ob ich nicht etwas für dieses Festkonzert schreiben könne. Ich habe natürlich sofort Ja gesagt.
Lange habe ich überlegt, was ich komponieren könnte. Bereits fest im Programm stand Die erste Walpurgisnacht von Mendelssohn. So kam ich auf die Idee, einzelne Verse aus der Walpurgisnacht aus Goethes Faust zu vertonen. Die Aufführung war sehr erfolgreich! Der damalige Direktor des Musikkollegiums war ebenfalls im Konzert und er meinte, dass dieses Stück unbedingt in Winterthur aufgeführt werden müsse. Es brauche aber noch etwas darum herum.
Ich überlegte lange. Es gibt viele Goethe-Vertonungen, aber irgendwie fand ich nichts Passendes. Bei einem Treffen mit dem ehemaligen Direktor sagte ich dann – vielleicht hat mich der Teufel oder Mephisto dazu gebracht [lacht] –: „Ich schreibe eine abendfüllende Oper mit dem Text der Walpurgisnacht.“ Die Reaktion war euphorisch! Und so kam es, ohne dass ich wusste, was alles auf mich zukommen würde. Dann habe ich diese Komposition geschrieben.
Andrea Erny
Nun, so kurz vor der Aufführung – mit welchen Gefühlen begegnest du diesem Stück? Was bedeutet es für dich?
Alfred Felder
Ganz zu Beginn der Walpurgisnacht singt Faust: „In die Traum- und Zauberwelt sind wir, scheint es, eingegangen.“ Und genau diese Traum- und Zauberwelt verlangt nach Musik, finde ich. Zu diesem Text lassen sich Klänge komponieren, die zauberhaft sind, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen – eben aus der Welt der Walpurgisnacht, aus dieser Traumwelt.
Wobei ich betonen muss: Eine Traumwelt kann so real sein wie unsere eigene. Wenn ich träume, empfinde ich den Traum als unmittelbare Realität. Und genau das ist für mich die Walpurgisnacht: eine Traumwelt, die real wird. Dieser Wechsel zwischen Traum und Realität verlangt geradezu nach Musik. Musik kann Goethes Text verstärken, Empfindungen unterstreichen und die Aussagekraft noch steigern.
Andrea Erny
Goethes Walpurgisnacht gilt literarisch als eine der schwierigsten Szenen im ganzen Faust, gerade weil sie in einer Traumwelt spielt und unzählige Interpretationsmöglichkeiten bietet. Wie war es für dich, mit diesem Text zu arbeiten? Wie hast du das Libretto selbst entwickelt?
Alfred Felder
Ich bin fasziniert vom Archaischen, von der elementaren Kraft der Natur. Diese zeigt sich gerade jetzt wieder: Der Frühling kommt, alles spriesst, die Tulpen sind schon gross, die Bäume bekommen Knospen. Diese Naturkraft fasziniert mich jedes Jahr aufs Neue. Die Walpurgisnacht ist ja ein Frühlingsfest, ein Dank an die Natur – dafür, dass sie wieder erwacht, dass sie uns wärmt, dass alles in voller Farbenpracht erblüht. Für mich ist das ein unglaubliches Wunder, jedes Jahr!
Dass die Menschen an einem solchen Frühlingsfest ausflippen, hemmungslos tanzen und ihre Freude feiern, kann ich absolut nachvollziehen. Goethes Walpurgisnacht spielt auf dem Brocken im Harz. Die Hexen, die dorthin reisen, müssen einen langen Weg bergauf zurücklegen. Dabei sammeln sie Kräuter und stellen daraus eine Salbe her – das wird im Stück vom Frauenchor besungen. Diese Salbe wirkt wie eine Droge, die sie in eine andere Welt katapultiert – das ist die Walpurgisnacht, all diese verrückten, rauschhaften Momente. Genau das möchte ich mit meiner Musik ausdrücken: einerseits die Ehrfurcht vor der Natur, andererseits die ekstatische Freude darüber.
Andrea Erny
Diese überschwängliche Freude bietet sicher auch viele Möglichkeiten für verschiedene musikalische Klangfarben? Ich nehme an, der Text hat dir viel Spielraum zum Experimentieren gegeben.
Alfred Felder
Ja, vor allem für Tänze! Es gibt so viele Tanzarten in der Musik: Polka, Walzer, und vieles mehr. Ich habe mich sogar für einen Mambo entschieden – am Ende des Stücks, im Finale des dritten Akts.
Natürlich könnte man sich fragen, warum in einer Komposition zur Walpurgisnacht ein Mambo vorkommt. Zunächst hatte ich einen völlig verrückten Walzer geschrieben – mit Taktwechseln und allerlei rhythmischen Überraschungen. Doch nachdem ich diesen Walzer fertiggestellt hatte, suchte ich nach einer neuen Idee.
Dann las ich irgendwo, dass „Mambo“ der Name einer afrikanischen Priesterin ist, die Frauen in Not beschützt. Frauen beteten zu ihr, und aus diesen Ritualen entwickelte sich der Mambo-Tanz. Diese Geschichte fand ich passend zur Walpurgisnacht, mit ihren tanzenden Hexen. In meiner Komposition ist der Mambo allerdings kein traditionell gemächlicher Tanz – er ist extrem schnell, fast wild. Er soll mitreissen und die Energie dieser Szene einfangen. Das zur Erklärung, warum ausgerechnet ein Mambo seinen Weg in meine Walpurgisnacht gefunden hat.
Andrea Erny
Das führt mich zur nächsten Frage: In welcher Traditionslinie der modernen Musik siehst du dich? Moderne Musik ist stilistisch äusserst vielfältig, besonders seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wo ordnest du dich selbst ein?
Alfred Felder
Ich denke, es gibt zwei Hauptrichtungen in der heutigen Musik: Die eine Gruppe von Komponisten strebt danach, immer das Neueste, noch nie Dagewesene zu schaffen. Jedes Werk muss völlig neu sein, mit Klängen, die es zuvor nicht gab. Die andere Richtung arbeitet stark aus der Tradition heraus.
Mich interessieren beide Strömungen nicht besonders. Ich will nicht zwanghaft das Rad neu erfinden, aber ich arbeite auch nicht rein aus der Tradition. Meine Musik hat sich aus der Vergangenheit heraus entwickelt, aber sie hat ihren eigenen Stil.
Wenn ich meine Musik mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es „Tonalisation“. Jeder Akkord lässt sich einer Tonart zuordnen – es gibt immer eine tonale Grundlage. Ich arbeite gerne mit Farben: Ich kann eine Klangfarbe abdunkeln, indem ich Töne hinzufüge, die eigentlich nicht in die Tonart passen. So wie ein Maler mit Blau ein Dunkelblau oder ein Hellblau erzeugt, spiele ich mit musikalischen Farben. Jede Szene hat ihre eigene Klangwelt, oft mit wechselnden Instrumentenschwerpunkten.
Meine Musik ist also in gewisser Weise traditionell, aber nicht im klassischen Sinne von D-Dur und A-Dur.
Andrea Erny
Zum Abschluss: Die Walpurgisnacht ist ein imposantes Werk – sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrer musikalischen Gestaltung. Würdest du sagen, dass sie dein Opus summum ist? Oder ist sie eher ein Sprungbrett zu noch Grösserem?
Alfred Felder
Nein, das ist definitiv mein grösstes und auch wichtigstes Werk. Goethes Welt spricht mich persönlich so stark an – diese Traumwelt, diese verrückte Welt. Deshalb ist dieses Stück für mich das Bedeutendste, was ich je geschaffen habe.
Mein Oratorium Oratorio Âtesh ist ebenfalls ein grosses Werk, aber die Walpurgisnacht ist noch grösser. Wenn du mich nach der Aufführung am 3. April fragst, ob ich noch einmal eine solche Oper komponieren möchte – ich weiss es nicht … Was soll ich dann sagen? [lacht]
Andrea Erny
Dann müsste erst jemand einen besseren Text als Faust schreiben, oder? – [Beide lachen].